Falls Sie nicht in einem Erdloch leben, dürfte es bis zum nächsten Glitzervorkommen nicht allzu weit sein. Denn die winzigen bunten Teilchen, die so schön im Licht funkeln, sind nahezu allgegenwärtig. Man findet sie auf Grußkarten und Verpackungen, in Wandfarben und Badezusätzen, in Cremes und Seifen, auf Kleidungsstücken, Handyhüllen, Dekoartikeln und süßen Lebensmitteln wie Pralinen oder Cupcakes. Bis vor einigen Jahren war der vorrangige Fundort noch das Kinderzimmer, doch inzwischen scheinen die Teilchen in großer Zahl in die Welt der Erwachsenen diffundiert zu sein. Man entdeckt sie sogar in Fassadenverkleidungen, Fußbodenbelägen oder banalen Gegenständen wie Kantinentabletts oder den Gehäusen von Elektrogeräten.
All dieser Glitzer oder Glitter, wie die Teilchen auch genannt werden, ruft eine Menge unterschiedlicher Gefühle hervor. Glitzer freut jene, die damit ihren Alltag zum Leuchten und Funkeln bringen, und empört andere, die in den Partikeln nur Plastikmüll sehen. Mit Glitzer kann man auffallen, sich schmücken, die Kleidung und den Körper verschönern, allerdings dient Glitzer auch als Verkaufshilfe für Ramsch. Glitzer steht für kindlichen Spaß und Märchenzauber, führt jedoch zuverlässig zu Ärger bei jenen, die hinterher sauber machen müssen: Die Minipartikel wieder einzufangen ist oft schwierig bis unmöglich, mit viel Überlebenswillen setzen sie sich in Ritzen und Spalten fest.
Ist Glitzer ein Signum unserer Zeit? Sind die funkelnden Teilchen gerade auch deshalb so beliebt, weil sie unseren oft von Sorgen verdüsterten Alltag mit ein wenig Farbe und Freude überpudern? Dazu würde passen, dass reiner Glitzer tatsächlich gern im Streudöschen angeboten wird, wie Gewürze. Also einfach den Deckel öffnen und Beängsti-gendes wie Trump, Klimakrise und Ukrainekrieg wegglitzern?
Gegen diese Sichtweise spricht, dass die Begeisterung für Glitzer wesentlich älter ist – so alt, dass es älter kaum geht. Bereits in prähistorischen Höhlenmalereien finden sich spezielle Farbpigmente, die das Licht reflektieren und so das Bild von der Mammutjagd zum Funkeln brachten. In etlichen frühen Hochkulturen – Ägypten, China, Griechenland, Rom – wurden Mineralien aus der sogenannten Glimmergruppe abgebaut, zum Beispiel Glimmerschiefer, die man dann zermahlte und Farben oder Kosmetikprodukten beimischte. Schon früh floss auch eine Menge Aufwand in die Erschließung neuer Glitzerquellen: Von Kleopatra weiß man, dass ihre königliche Schminke Glitzerpartikel aus fein zerstoßenen Chitinpanzern bestimmter bunter Käfer enthielt – sicherlich eine Methode, mit der man noch heute auf Instagram einiges Aufsehen erregen könnte.
Auch die Geschichte des industriell hergestellten Glitzers ist älter, als man vielleicht dächte. Sie begann vor rund 160 Jahren unter anderem im Fichtelgebirge, wo Glas-perlenmacher ihre Produktionsreste zu Streugut kleinschliffen, das sie als Dekoware vermarkteten. Zum Massenphänomen wurde Glitzer durch den US-amerikanischen Konstrukteur Henry Ruschmann, der Anfang der 1930er-Jahre eine Schneidemaschine für Filme und Papier gebaut hatte. Doch das Ding hatte seine Macken und produzierte manchmal nur winziges Häckselgut. Als Ruschmann sah, dass seine Arbeiter dieses schneeartige Material auf ihre Weihnachtsbäume streuten, hatte er eine Eingebung und konstruierte die erste Maschine, die Plastikabfälle absichtlich zu Glitzer verarbeitete. Die damals von ihm gegründete Firma MFI gehört immer noch zu den Marktführern, ihr Slogan: »Our glitter covers the world«.
Heute werden rund 20 000 verschiedene Sorten Glitzer hergestellt, die sich in Größe und Form der einzelnen Partikel unterscheiden, in den Farben und manchmal auch im Material. Meistens ist das allerdings weiter Kunststoff, womit Glitzer ein Teil des umweltpolitischen Großthemas Mikroplastik ist. Muss es sein, fragen sich viele, einer Umwelt, durch die eh schon gewaltige Mengen Mikroplastik schwirren, noch den Glitzer hinzuzufügen? Als die EU im Oktober 2023 eine Reihe von Verordnungen erließ, die den Einsatz von Mikroplastik in Kosmetik und diversen anderen Produkten einschränkten und zu Panikkäufen bei einigen Influencern führten, reduzierte das auch die Verbreitung von Glitzer, ein wenig zumindest. Längst gibt es übrigens Bio-Glitzer, der aus Zellu-lose, Mineralien oder Schellack gefertigt wird. »Bio« bedeutet in diesem Fall aber nicht, dass der Glitzer zugleich biobasiert und biologisch abbaubar wäre. »Bio-Glitzer kann auch nur eine der beiden Eigenschaften haben«, erklärt Janine Korduan vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland. Selbst viele »biologisch abbaubare« Produkte hätten tatsächlich nur eine Abbaubarkeit von 90 Prozent. Hinzu kommt: Das in einigen Bio-Glitzern enthaltene Mineral Mica wird laut Öko-Test oft durch Kinderarbeit gewonnen.
Ein ganz anderer Blick auf das Thema wird nun in Hamburg geworfen, wo das Museum für Kunst und Gewerbe dem Glitzer ab Ende Februar eine eigene Ausstellung widmet. Die Kuratorinnen Julia Meer und Nina Lucia Groß untersuchen darin auch die politische Bedeutung von Glitzer. Ihre Beobachtung: Glitzer kann Randgruppen zur Selbstermächtigung und zum Protest gegen Verhaltens- und Körpernormen dienen. Als Beispiel führen sie die queere Kultur an, wo sich Dragqueens, aber auch David Bowies außerirdischer Rockstar Ziggy Stardust schon in den Siebzigerjahren mit Glitzer schmückten und so eigene, genderfluide Identitäten schufen. Das große Funkeln transportiert dabei auch die Botschaft, sich nicht länger verstecken zu wollen. »Sichtbarkeit ist mit kaum einem anderen Material so schnell zu erzielen«, erklärt Nina Lucia Groß. Da ist es nur folgerichtig, dass Glitzer in der queeren Kultur sogar aktiv ein-gesetzt wird – in Form von Glitzerbomben, die auf besonders queerfeindliche Politiker geworfen werden. Zu den ersten Opfern einer solchen Attacke gehörte 2011 der republikanische US-amerikanische Politiker Newt Gingrich. Während des Wahlkampfs signierte er in Minnesota Bücher, als ein Mann mit den Worten »Fühl den Regen-bogen, Newt« einen Karton Glitzer über dem Tisch auskippte.
Daneben erzählt die Hamburger Ausstellung von der Geschichte des Glitzers, bei dessen Recherche die Kuratorinnen viel Überraschendes zutage förderten, im Großen wie im Kleinen. So bekommt man eine Antwort auf die Frage, seit wann Bastel-kleber Glitzer enthält, aber auch wann Hersteller begannen, Kleidungsstücke für Jungen mit Glitzer zu bekleben – lange war das Material ja ein Mädchen zugeschrie-benes Gendersignal, so wie Prinzessinnen oder die Farbe Rosa. »Der Disney-Erfolgsfilm Die Eiskönigin hat da viel verändert«, sagt Nina Lucia Groß, und Julia Meer ergänzt: »Die Vermarkter setzten Glitzer und übrigens auch die Farbe Türkis genderunab-hängig ein.«
Vor allem aber geht es immer wieder um die Frage, wie sich im Glitzer gesellschaft-liche Entwicklungen spiegeln. Höchst populär war Glitzer bereits vor hundert Jahren. Als der Archäologe Howard Carter 1923 im ägyptischen Tal der Könige die Grabkammer des Tutanchamun öffnete – damals eine Sensationsnachricht, die einen Ägypten-Rummel auslöste –, fand er in der Grabkammer des Pharaos eine Art Paillettenkleidung, nach Recherchen der Kuratorinnen: aus vielen Metallplättchen. Die Folge: Bald darauf trug man auch auf den Berliner Tanzflächen glitzernde Paillettenkleider – und es fällt schwer, dieses Glitzern und Funkeln nicht in Beziehung zu setzen zur Düsternis, die damals in den Alltag kroch, zu Wirtschaftskrise, Antisemitismus und dem Erstarken des Nationalsozialismus.
Und heute? Da ist zumindest klar, dass Glitzer ein perfektes Symbol für die Widersprüchlichkeit unserer Zeit ist und gleichermaßen für Spaß, Licht und Freiheit steht wie für Gift, Müll und Umweltzerstörung. Man sollte ja nicht vergessen, dass jeder einzelne Plastik-Glitzerpartikel auch in 1000 Jahren nicht verrottet sein wird und sich nach der kurzen Zeit, in der er jemandem Freude brachte, unweigerlich irgendwo in der Umwelt ablagert – im Boden, im Meer, in Nahrungsmitteln, in Häusern und Wohnungen. Oder vielleicht sogar im Körper der Person, die den Glitzer so fröhlich auf Haut oder Kleidung trug.