Warum fällt es schwer, sich etwas zu gönnen?

Schon als Kind hatte unsere Autorin Gewissensbisse, wenn sie leichtfertig Geld ausgab. Heute weiß sie: Konsum alleine macht natürlich nicht glücklich – aber es hilft, mal alles auf den Kopf zu stellen, was man übers Geldausgeben gelernt hat.

Echte Freude kann man nicht kaufen? Sagen wir lieber so: Sie muss nicht viel kosten. 

Foto: Ashley Sophia Clark 

Das erste Mal, dass ich nach dem Geldausgeben ein schlechtes Gefühl hatte, war auf dem Flohmarkt am Kirchenvorplatz. Es war Sommer, ich war neun Jahre alt, hatte meinen großen Bruder dabei und mein gesamtes Kapital aus den vergangenen Monaten in der Tasche: 20 Mark. Der Flohmarkt sollte meine 20 Mark kennenlernen, und ich war nicht wählerisch. Vor einer Frau stand ein Regal, es war etwa zwei Mal einen Meter groß, braun angestrichen, ein trostloses Ding. Aber es war nun mal das Erste, was ich sah. Als ich die Frau fragte, was das sei, erklärte sie, es sei ein Setzkasten, koste 20 Mark (wie passend, die hatte ich ja!), und mein Bruder und ich beratschlagten, ob das nicht der Ort wäre, um unsere mühsam im Supermarkt zusammengeschüttelten Figuren aus Überraschungseiern unterzubringen. Mein Bruder fand den Kasten gut. Er zahlte natürlich nicht mit (deswegen kann er wahrscheinlich auch heute einen Kredit für eine Eigentumswohnung abbezahlen und ich nicht). Aber er half mir beim Tragen, und ich fühlte mich wie Dagobert Duck nach einem gelungenen Geschäftsabschluss.

Aus heutiger Perspektive kann ich nur das sehen, was meine Mutter sah, als sie uns damals die Tür aufmachte: zwei Kinder, die einen hässlichen Holzkasten in den Flur wuchten. Meine Mutter fragte, wie viel ich dafür bezahlt hätte. Schon während ich es sagte, wurde ich rot. Meine Mutter machte leise dieses »ts«-Geräusch, das Mütter sicher im Geburtsvorbereitungskurs lernen, so sehr gehört es zum Repertoire des Mutterseins, und sagte dann meinen vollen Vornamen, mit der Betonung auf der zweiten Silbe, in meiner Familie beides untrügliche Zeichen dafür, dass man auf ganzer Linie verkackt hat. Ich schämte mich. Wie sehr hatte ich bewiesen, dass ich klein und dumm war: Denn ich konnte nicht mit meinem Geld umgehen, so wie die Großen. Mein Bruder hatte gespart. Ich hatte gekauft. Und noch dazu Schrott.

Wenn man mal alles auf den Kopf stellt, was man über das Geld­ausgeben gelernt hat, rücken die Dinge ins rechte Licht

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Weil meine Mutter zu den Menschen gehört, die Kindergefühle sofort verstehen, tat ich ihr leid, und sie, die Basteln und Heimwerken hasste, nahm mit mir am nächsten Wochenende die braune Rückwand aus dem Kasten und sprühte ihn mit knallblauer Farbe an. Innerhalb eines Tages wurde ein hübsches Regal daraus, das noch die zehn Jahre bis zu meinem Auszug in meinem Zimmer hängen sollte und nach Überraschungsei-Figuren erst Parfüm- und schließlich Schnapsfläschchen beherbergte. Noch jahrelang sagte meine Mutter, wenn sie mein Zimmer betrat, wie schön das Regal doch sei.

In der Wirtschaftspsychologie fällt das, was meine Mutter und ich taten, unter den Begriff »nachträgliche Begründungstendenz«. Ein Mensch rechtfertigt sich nach einer Entscheidung für etwas, was er besser hätte entscheiden können oder für das er sich schämt, und überredet sich zu der Ansicht, dass die Entscheidung ja doch nicht verkehrt war, schließlich sei das Ergebnis es wert. Die meisten von uns durchlaufen solche nachträglichen Begründungen. Mich hat der Flohmarkt von 1999 zur Königin der nachträglichen Begründungstendenz gemacht, und ich dachte lange, es sei eine problematische Charaktereigenschaft, die mich teuer zu stehen kommt. Mehr und mehr stelle ich fest, dass es eine Lebenshilfe sein könnte.

Ich meine nicht den Kauf von Dingen, die man zum Leben unbedingt braucht, richtige Geldsorgen, bei denen es um die Existenz geht, die berechtigt sind. Ich meine das für viele Menschen alltägliche Phänomen, Dinge zu kaufen, die man »sich gönnt« – Konsumentscheidungen, die Mütter unterschiedlicher Generationen mit einem »ts« bedenken würden. Ihre Begleiterscheinung ist ein schlechtes Gewissen, das sich oft weniger wegen moralischer Bedenken einstellt – wie dem Gedanken dass man, wenn man eine nachhaltigere Welt hinterlassen möchte, eigentlich weniger konsumieren müsste. Es gibt ein schlechtes Gewissen, das auftaucht, schlicht, weil man nicht spart, wie es die Vorgängergenerationen einen gelehrt haben – (dabei hat sich das Prinzip Sparen, wie Finanzexperten immer wieder betonen, in den vergangenen Jahrzehnten verändert).

Besonders auffällig ist das schlechte Gewissen beim Belohnungsprinzip, also beim Kauf von Dingen, die man »nur für sich« anschafft, dabei ist egal, wie teuer sie sind: das Buch, das man neu kauft, aber auch gebraucht haben könnte, oder das Essengehen mit Freunden, das teurer ausfiel als gedacht. Zwar tut oder kauft man diese Dinge dann in den meisten Fällen trotzdem. Man fühlt sich hinterher nur oft mies, wenn die Rechnung kommt. Die Gleichung ist doppelt negativ: Das Geld wird weniger und die Freude über den Kauf ebenfalls. Selbst wenn man herausgefunden hat, wie man sein Geld nicht für unnütze Dinge ausgibt, sondern für etwas, das einem ehrlich und vielleicht sogar länger als ein paar Tage Freude bereitet, ist das schlechte Gewissen einfach da, wie eine Zusatzsteuer auf dem Kassenbeleg.

Kulturgeschichtlich betrachtet herrscht von Jesus bis zu den Beatles Einigkeit darüber, dass Glück nicht am Geld (allein) hängt

Der US-amerikanische Banker Morgan Housel schreibt in einem Essay über die Kunst des Geldausgebens zur Verbindung zwischen Kauf und schlechtem Gewissen: »Nicht nur ist man in Schwierigkeiten: Man hatte nicht mal Spaß auf dem Weg dorthin.« Housel bezieht sich auf große Summen, Kaufentscheidungen, bei denen man richtig Geld in den Sand setzt. Aber seine Beobachtung lässt sich auf Geldausgeben im Alltag übertragen.

Kulturgeschichtlich betrachtet herrscht von Jesus (Du kriegst ewiges Leben, aber dein Geld und deinen Schrott kriegen dann die Armen) bis zu den Beatles (Can’t Buy Me Love) Einigkeit darüber, dass Glück nicht am Geld (allein) hängt. Im Alltag fällt es vielen Menschen dagegen erstaunlich schwer, Gefühle vom Geldausgeben zu trennen.

Vielleicht muss man so darüber nachdenken: Wer schon glücklich ist, dem wird Geldausgeben nicht dabei helfen, noch glücklicher zu werden. Wer sich bewusst macht, dass die Quelle des persönlichen Glücks (Love, natürlich) woanders liegt als auf dem Konto, wird sich auf Dauer aber auch weniger mies dabei fühlen, Geld auszugeben – weil es an Bedeutung verliert, zumindest was die kleinen, nicht existenziellen Ausgaben betrifft. Wenn der Kapitalismus ein Brettspiel wäre, dann wäre Geldausgeben zu müssen eine Spielregel. Solange man das System nicht ändern kann, kann man auch die Regeln nicht ändern – aber man kann verändern, wie man mit ihnen umgeht.

Einen interessanten Beitrag dazu geleistet haben vor 60 Jahren die Entwickler des Brettspiels Mankomania. Als ich etwa im Flohmarktregal-Alter war, bekam mein Cousin es geschenkt. Das Spiel ist wesent­lich unbekannter als zum Beispiel Monopoly, aber viel lustiger, weil eben dahinter nicht der Ernst des Anlage-Lebens steckt. Der Untertitel des Spiels auf Englisch lautet »Go for broke« – riskier alles. Bei Mankomania geht es darum, das Geld komplett aus dem Fenster zu werfen, auf pädagogisch reizvollen Feldern wie dem »Pferderennen« und im »Casino« (das Spiel ist ab acht Jahren). Wer als Erster kein Geld mehr besitzt, gewinnt, und wenn wir auf das Spielfeld rückten, auf dem »Deine Oma schenkt dir 5000 Mark« stand, schrien wir theatralisch »Scheiße!«. Das Besondere an diesem Spiel war auch, dass es allen gleichermaßen Spaß machte, denen, die gewannen, und denen, die verloren – denn wenn man verloren hatte, konnte man immerhin empört sagen: »Mist, 500 000 gewonnen, so was Dummes aber auch.«

Kurz nach Neujahr lud ich nun Freunde nach Hause ein, um das Spiel zu spielen, zum ersten Mal seit 25 Jahren. Ich wollte sehen, ob es noch Spaß macht, wenn man in einem Alter ist, in dem das eigene Geld auf dem Konto jeden Monat erst mehr und dann wieder weniger wird. Meine Mitspielerin und ich verloren mit Abstand, wir wurden richtig reich und ärgerten uns maßlos. Die anderen freuten sich diebisch über den Verlust einer Million. Wenn man für einen Abend alles auf den Kopf stellt, was man über das Geldausgeben gelernt hat, rücken die Dinge auf eine merkwürdige Weise ins rechte Licht. Man erinnert sich daran, wie wenig die Verbindung von Geld und Gefühl in den meisten Fällen nützt. Am Ende entpuppt sich das Leben als ein Ding, das man auch gut zu Monopoly und Mankomania und den anderen Brettspielen ins Regal stellen könnte: reine Glückssache.