Durststrecke auf dem Teller

Für unsere Autorin hat das Jahr zwei Teile: einen mit Bratensoße und einen ohne. Leider beginnt Ende Januar in ihrer Familie die kulinarische Trockenzeit, doch zum Glück kennt sie Orte, wo die Soße ganzjährig locker sitzt.

Foto Erli Grünzweil

Im Januar liegt das Jahr so wunderbar planlos vor einem – alles kann noch passieren, aber nichts steht fest. Nur ein paar wiederkehrende Zeitspannen mit ihren Ereignissen liegen schon grob sichtbar im Nebel: Karneval, die ersten Krokusse, Fastenzeit, Ferien mit bisschen Sonne, Pfingsten, das Zeugnis, die große Reise, die ersten Lebkuchen, Herbst, selber backen, Adventszeit – so ungefähr. Als Kind blickte ich anders aufs Jahr: die Wegmarken waren die Feste, zu denen es Geschenke gab: Weihnachten, Geburtstag, Ostern, und von vorne, für alles andere hatte ich keinen Blick.

Für Arbeitnehmer hat das Jahr noch mal einen anderen Rhythmus, und der wiederum unterscheidet sich im Baugewerbe von dem in der Arztpraxis, für Schwimmbadmitarbeiter ist er anders als für uns in der Redaktion. Je nachdem, welchen Sport man liebt, ordnet sich das Jahr auch neu. Wer gerne Tennis spielt, plant mit acht Monaten Draußentennis und vier Monaten Durststrecke. Skifahrer hingegen fiebern auf die vier Schneemo­nate hin.

Aber dann gibt es auch sehr persönliche Jahresstrecken. Für mich etwa beginnt ab Ende Januar die soßenfreie Zeit. Und zwar gegen meinen Willen. Ich liebe Soßen, aber kann sie selbst nicht machen. Weihnachten, also jene Zeit, in der man bei anderen isst, schätze ich auch wegen der Soßen. Bratensoße, Pilzsoße, Béchamel – einfach selber angerührt aus Butter, Mehl, Brühe, Sud, Saft und Zwiebelschwitze bekommt man dann bei anderen aufgetischt. Oft darf man sich die Reste mitnehmen, einfrieren und noch ein paar Wochen weiteressen. Aber irgendwann gegen Ende Januar gehen die Vorräte zu Ende, egal wie sehr man mit der heiligen Bratensoße gehaushaltet hat.

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Soßenkompetenz haben wahrlich nicht alle Köche. Soßen, das können nur die Älteren, so meine Erfahrung. Jene, die vor dem Siegeszug des Olivenöls mit dem Kochen begonnen haben. Die mehr zubereiten mussten als ein Stück Pute und eine Avocado. Die noch lernen mussten, etwas anzurühren, in dem man ein Kilo trockene Kartoffeln tränken kann.

Die nicht alles in einen Topf werfen und aufkochen, sondern die, einer magischen Soßenregie folgend, die Dinge aufeinander aufbauend unterrührten. Erst Knoblauch, Zwiebeln, Senf, Öl, Butter, Mehl, Thymian, Pfefferkörner, Zucker, Gemüsebrühe, Rinderfond, was weiß ich. Neben dem Kochtopf haben die mehr liegen als einen Holzlöffel, nämlich Rührbesen, ein Messer, Esslöffel, Teelöffel. Ich schau mir das Setting immer an, aber nachmachen könnte ich es trotzdem nicht. Echte Soßenmacher können reagieren, wenn eine Soße ungewohnt reagiert. Und sei es ganz routiniert mit kleinen Hilfspülverchen. Es ist die von mir sehr verehrte Mondamin-Fraktion.

Ja, und dann gibt es mich. Die aus Unvermögen alles anbrät. Soße war für mich lange Jahre ein Synonym für Tomatensoße. Heute geht es kaum gewitzter zu: Noch bevor ich genau weiß, was ich kochen will, stelle ich eine Pfanne auf den Herd und kippe etwas Öl rein. Daraus entstehen bei mir Bratkartoffeln ebenso wie Pfannkuchen, Spiegeleier und auch Lachs. Will ich Soße, schütte ich später Sahne ins Öl. So wenig ich es kann, so groß die Ehrfurcht.

Ich bin mit meiner Soßenliebe nicht alleine. Restaurants werden in meinem Haushalt in zwei Kategorien eingeteilt. In solche, in denen es Soße nachgibt, wenn man nett danach fragt. Und »die blöden«. Da ist es dann auch egal, ob es ein bayerisches Wirtshaus, ein Italiener oder ein Indonesier ist. Hauptsache, die Soße sitzt locker.

Alles, was dann noch übrig bleibt, wird nicht mehr gelöffelt, sondern der ganze Teller angesetzt und die Soße ausgetrunken. Soßenliebe ist ganzjährig.