Nutzt mich meine Freundin als Sorgentelefon aus?

Eine Freundin meldet sich nur, um kurz nebenbei zu telefonieren oder wenn es ihr schlecht geht. Unsere Leserin fühlt sich ausgenutzt - oder ist sie zu empfindlich? Unsere Kolumnistin antwortet versöhnlich.

Illustration: Serge Bloch

»Ich habe eine Freundin, die während der Schulzeit und noch lange danach meine allerbeste Freundin war. Irgendwann haben wir uns etwas auseinanderentwickelt. Wir sehen uns praktisch nie, telefonieren aber regelmäßig. Wenn sie mich anruft, tut sie das in der Regel, wenn sie im Auto auf dem Weg von der Arbeit nach Hause ist. Das Gespräch dauert immer 20 Minuten, so lange wie die Fahrt. Ausnahme: Es geht ihr schlecht, sie möchte etwas loswerden, sich aussprechen, dann ruft sie mich mit mehr Zeit an. Ich bin immer für sie da. Aber dadurch, dass sie sich nur meldet, wenn es keine extra Zeit ›kostet‹ oder sie eine Zuhörerin braucht, habe ich das Gefühl, dass sie mich benutzt oder diese Anrufe für sie eine Pflicht sind, die sie zeitsparend ›erledigt‹. Bin ich zu empfindlich?« 
Annette G., per Mail

Unsere Zeit mit all ihren Geräten hat vielen von uns abtrainiert, sich auf nur eine Sache zu konzentrieren. Wenn wir fernsehen, gucken wir parallel auf unser Handy. Gucken wir auf unser Handy – nein, okay, in diesem Fall gucken wir nur auf unser Handy. Aber abgesehen von der sinnlosen Versenkung in dieses süchtig machende Gerät sind wir immer stärker darauf gepolt, zwei Dinge gleichzeitig zu tun. Essen und fernsehen. Aufräumen und Podcast hören. Podcast hören und einparken. Nicht, dass das ideal wäre – all die vielen Achtsamkeitskurse werden nicht umsonst gebucht –, aber es ist eben gut möglich, dass Ihre Freundin Sie nicht deshalb von unterwegs anruft, weil sie das keine extra Zeit kostet, sondern weil sie sich dann am besten aufs Telefonieren konzentrieren kann. Sie gehört vielleicht zu den vielen, vielen Menschen, die es kirre machen würde, während eines Telefonats ruhig in einem Zimmer zu sitzen. Immerhin kombiniert sie Situationen, die einander nicht in die Quere kommen. Warum nicht ein Lied singen, während man Fahrrad fährt? Warum kein Buch lesen, während man fliegt? Nachrichten gucken, während man auf dem Stepper ist. Oder eben telefonieren, während man gerade etwas macht, wobei man gut telefonieren kann.

Punkt zwei: Sie meldet sich nur dann mit mehr Muße, wenn es ihr schlecht geht. Ist das denn nicht im Grunde ein Kompliment? In Krisensituationen möchte man doch nicht mit irgendjemandem sprechen, sondern mit jemandem, dem man vertraut. Sie empfinden Ihre Freundschaft als einseitig. Fühlen sich ausgenutzt und zum Zuhören verdonnert. Aber dazu gehören zwei. Es klingt, als nähmen Sie an dieser Freundschaft nur noch passiv teil. Wenn Ihnen etwas an dieser Verbindung liegt, geben Sie Ihrer Freundin die Chance, sich auch mal als Freundin zu erweisen. Dazu gehört auch, ihr anzuvertrauen, was Sie stört.