»Ich studiere Medizin, und dieses Semester haben wir gelernt, dass Brustkrebs nicht nur tastbar ist, sondern dass auch äußere Zeichen wie Asymmetrie, Hauteinziehungen et cetera auf Brustkrebs hinweisen können. Jetzt fiel mir in der Sauna eine Frau mit krankhaft verändert aussehender Brust auf. Hätte ich sie ansprechen sollen? Im besten Fall hätte ich damit einen schnellen Therapiebeginn angestoßen und ihr möglicherweise Lebenszeit geschenkt. Oder wäre das übergriffig? Möglicherweise ist sie bereits in Behandlung. Und vielleicht ist ja auch alles okay. Außerdem bin ich ja auch noch keine fertig ausgebildete Ärztin mit Berufserfahrung. Wie hätte ich mich richtig verhalten?« Anonym, per Mail
Ich glaube, wirklich niemand auf der Welt braucht jemanden, der ihr oder ihm in der Sauna erklärt, dass er möglicherweise eine schwere Krankheit hat. Dafür, mit Verlaub, ist das Leben auch so schon beschwerlich genug. Im von Ihnen skizzierten Fall kommt hinzu, dass es offenbar bereits eine äußerliche Veränderung gibt – oder jedenfalls etwas, das Sie dafür halten. Bedeutet, die Frau anzusprechen, in der Annahme, sie wüsste nicht selbst darum, legt nahe, Sie halten sie für ein bisschen bescheuert. Da hätte sich ihre Brust also optisch verändert, und sie hätte sich darüber noch keinen einzigen Gedanken gemacht? Nein, das geht nicht. Zumal es sehr gut sein kann, wie Sie selbst schreiben, dass sie bereits in Behandlung ist. Oder war. Oder dass gar nichts ist! Sie haben gerade über Brustkrebs gelernt, weshalb Ihnen diese Brust auffiel – es gibt so viele andere äußere Zeichen, die auch auf eine Krankheit hindeuten könnten. Eine Glatze kann etwa, auch bei Männern, auf eine Erkrankung der Schilddrüse hindeuten. Eine Wampe auf eine hormonelle Störung. Würden Sie jedem Menschen in der Sauna, der ein Muttermal hat, den Rat mitgeben wollen, sich das mal angucken zu lassen?
Um also Ihre Frage zu beantworten: Ja, es wäre übergriffig, die Frau in der Sauna auf deren vermeintlich krankhaft veränderte Brust anzusprechen. Wenn es eine Freundin von Ihnen wäre, sähe die Sache anders aus. Dann könnten, dann sollten Sie etwas sagen. Aber es handelt sich hier um eine Ihnen unbekannte Frau, die sich in wer weiß was für Lebensumständen befindet: Die Chancen, dass eine Intervention von Ihnen zu etwas lebensverändernd Positivem führt, sind, glaube ich, relativ gering. Das soll Ihre gute Absicht nicht schmälern. Aber es soll Sie auf die allerfreundlichste Weise entmutigen, Unbekannten derart existenzielle Nachrichten aufzudrängen.