Neulich, bei einer Freundin zum Abendessen. Die Freundin verzichtet gerade auf Alkohol, Kaffee und Zucker, sie arbeitet irre viel und ist Mutter, sie badet quasi in Stresshormonen, also gab es ausgezeichnetes japanisches Gemüse und für mich ein Glas Riesling dazu, für sich selbst hatte sie irgendwas Nebliges angerührt.
»Was trinkst du da?«
»Ach, das ist dieser Tee von meiner TCM-Medizinerin.«
»Wie schlimm schmeckt er?«
»Geht eigentlich, ich mag ihn sogar ganz gern, da ist auch Süßholzwurzel drin, willst du mal probieren?«
Ich probierte. Was soll ich sagen, es hob mich ein bisschen, Süßholzwurzel schmeckte ich nicht, dafür muffige Pilze.
»Mh, ja, stimmt, geht.«
Meine Freundin kennt mich natürlich, lachte herzhaft, goss mir Riesling nach und sagte: »Medizin soll nicht schmecken, Medizin soll helfen.«
Ein Klassiker von Menschen, die versuchen, Kinder zu erziehen. Ich hasse diesen Satz, auch weil ich ihn so oft zu mir selbst sage in meinen hilflosen Bemühungen, mich zu erziehen. Mit meinem Sohn gab es da nie Probleme, er ist so viel härter im Nehmen als ich. Schon als er ganz klein war, hat er sich begeistert diese großen Dosierspritzen mit Fiebersaft in den kleinen Mund stecken lassen, um sich danach erst die Lippen abzulecken und dann kurz zu schütteln.
»Wäh, Medizin.«
»Medizin soll nicht schmecken, Medizin soll …«
Da war er schon wieder spielen gegangen, mit seinem Piratenschiff und 40 Grad Fieber. Heute, ein Drittel Mann, ein Drittel Kind, ein Drittel Kampfsportler, zählt für ihn zu guter Ernährung im Herbst und Winter auch unbedingt Hustensaft. Kleine Erkältungen, die ihn davon abhalten könnten, am Wochenende in den Ring zu steigen, werden so direkt auf die Matte geschickt. Klebrigen Fenchelhonig hat er gleich neben dem Bett stehen. Tabletten hingegen mag er nicht. Wenn er irgendwas hat, während ich auf Reisen bin, und ich ihm eine Nachricht schreibe, wo welche Pillen dagegen stehen, antwortet er grundsätzlich erst mal: »Gibts das auch als Saft Mama«. Gibt’s das auch mit Interpunktion, denke ich dann, und bewundere ihn heimlich für seine Abgeklärtheit.
Denn Medizin trinken und ich – das war schon immer eine schwierige Kombination. Das mag auch an der Zeit liegen, in die ich hineingeboren wurde. In den Siebziger- und Achtzigerjahren scherte sich die Pharmaindustrie nicht darum, wie etwas, das kranke Kinder unbedingt nehmen sollen, schmecken muss. Wir hatten ja nichts damals! Und eventuell war es auch gar nicht so verkehrt, Medizin nicht um jeden Preis verkaufen zu wollen, sondern sie lediglich zur Verfügung zu stellen.
Auf jeden Fall erinnere ich mich im Brustton des Würgens an Penicillinsaft – meine Mutter rührte das anlässlich jeder meiner wiederkehrenden Mandelentzündungen an, ich hatte es zu schlucken, es war krisselig, staubig, bitter, eher eine dünne Paste als ein Saft, heute verwendet man so was, um Fugen abzudichten. Ich suche seitdem in jedem Getränk aus braunen Flaschen nach dem ekligen Staubgeschmack, sogar wenn es sich um hochpreisige, exotische Spiri-tuosen handelt.
Als ich mit zwölf Jahren zum ersten Mal meine Regel hatte und mich vor Schmerzen krümmte, flößte mir meine Großmutter Klosterfrau Melissengeist ein, »damit du dich mal entspannst«, ich spuckte das Zeug auf den Perserteppich und schrie weiter die Bude zusammen. Es gleicht einem Wunder, dass ich so gern Schnaps trinke. Aber sicherheitshalber nehme ich immer auch eine Kopfschmerztablette dazu.