Vor mittlerweile auch schon wieder fünf Jahren schrieb ich an dieser Stelle über mein Lieblingsgetränk, diese schlammbraune Mischung aus Cola und Orangenlimonade namens Spezi, die es so eigentlich nur in Deutschland gibt, und ja, irgendwie passt das zur Lage der Nation, dass wir etwas erfunden haben, das eher kein Exportschlager geworden ist, im Wall Street Journal stand mal, Spezi schmecke wie Sumpfwasser mit Kohlensäure.
Egal – wenn ich die Wahl habe, trinke ich immer noch am liebsten Spezi, nicht jeden Tag, man wiegt praktisch nach jedem Schluck ein halbes Kilo mehr, aber gelegentlich, am liebsten mit viel Eis und einer Orangenscheibe zu ungesundem Essen. Abgesehen davon, dass es mir schmeckt, mochte ich immer, dass es so gewöhnlich, so provinziell ist. Ein Spezi wird eher im Wirtshaus als in der Bar getrunken, eher von Leuten, von denen Politiker im Wahlkampf behaupten, dass sie unser Land zusammenhalten, als von der ökonomischen oder akademischen Elite. Wer ein Spezi bestellt, befindet sich nicht im Repräsentationsmodus und möchte keine Zeichen aussenden, der möchte was trinken, das fand ich immer sympathisch.
Und dann spülte mir ein Algorithmus die aktuelle Werbung für Krombacher-Spezi auf den Bildschirm. Seitdem bin ich erschüttert und ein bisschen traurig. Worum geht es? Eine junge Frau läuft mit einer Speziflasche in der Hand durch ein Studio, in dem farbige Würfel und Quader rumstehen, und sagt: »Normal – gibt’s das heute noch? Jeder von uns ist doch irgendwie anders, besonders, eben einzigartig. Aufs Speziell-sein. Spezi – statt normal.« Hatte ich richtig gehört? Spezi das Gegenteil von normal? Behauptete diese Frau tatsächlich das Gegenteil von dem, was ich mein Leben lang mit Spezi assoziiert hatte? Ich kam mir vor, als wäre Jay-Z mit einem alten Golf an mir vorbeigefahren. Dass jetzt auch noch mein geliebtes Spezi, das doch auch ohne alberne Werbesprüche grandios schmeckt, etwas Besonderes sein muss, um eine Daseinsberechtigung zu haben, das ging mir tatsächlich auf die Nerven.
Es ist eine unumstößliche Tatsache, dass jeder von uns einzigartig ist, das bestätigt Ihnen jeder Biologe am Telefon. Das Nervige ist, wenn es permanent betont werden muss, oft von Menschen, die verzweifelt nach Aufmerksamkeit suchen. Es gibt verschiedene Arten, das zu tun, die Techniken sind bekannt, viele haben mit dem Internet zu tun. Und verstehen Sie mich nicht falsch, man kann das machen, es kann sogar interessant oder originell sein, aber mein Herz gehört den anderen, den leisen, unscheinbaren, randständigen Menschen, die man leicht übersieht, weil sie in der zweiten, dritten oder gar keiner Reihe stehen, da sie mal wieder zu Hause geblieben sind. Je älter ich werde, desto öfter mache ich die Erfahrung, dass vor allem die Menschen besonders sind, denen es nicht bewusst ist und die sich keine Gedanken darüber machen. Oft sind sie schüchtern, schrullig oder undiplomatisch. Sie verkaufen sich nicht gut. Sind nicht geschmeidig und manchmal renitent. Können nicht aus ihrer Haut. Reden zu leise oder zu schnell oder kriegen nicht raus, was sie sagen wollen. Manchmal werden sie missverstanden oder belächelt, aber so ist das, wenn man sich anders verhält, als es die Gesellschaft von einem erwartet.
Ich glaube, es ist wichtig, dass es solche Menschen gibt. Weil sie uns immer wieder daran erinnern, dass alles auch ganz anders sein kann. Weil man sich Zeit nehmen und vielleicht sogar anstrengen muss, um sie kennenzulernen, damit man sie verstehen, wertschätzen oder lieb gewinnen kann. Und was ich eigentlich sagen will: Spezi – weil normal!