Wein aus der Biertulpe

Unserer Autorin wird auf einer sagenhaften Party Weißwein im falschen Glas serviert. Während sie begeistert trinkt, stößt sie auf eine unerwartete Lebensweisheit.

Foto Erli Grünzweil

Die wilde Party, auf der ich vor ein paar Monaten war, war so wild, dass ich dachte: Wow, gleich fliegt hier das Dach weg. Besagte Party ist ein regel­mäßig wiederkehrender Brenner, steigt aber nur alle paar Jahre, und der Paar-Jahres-Rhythmus war auch noch von der Pandemie unterbrochen gewesen, also hatten alle, die zu jenem Partyzirkus gehören, das Gefühl, es ist überhaupt die erste Party des Jahrzehnts, wenn nicht gar DIE Party des Jahrzehnts.

Auf der damals vorerst letzten Party dieser Art – eng, voll, laut, Stimmen, Musik, Menschenhaufen – war ich im Oktober 2019 gewesen, da tropften die Aerosole von der Decke, und wir wussten noch nicht mal, was das ist: Aerosole. Danach war der Zirkus krank, alle hatten einen Husten, als hätte ihnen jemand ein Metallbrett auf die Bronchien genagelt, ich bin mit hohem Fieber weitergereist nach Innsbruck und Helsinki, ich habe Wochen gebraucht, um mich davon zu erholen, und im Januar 2020 dachte ich, na ja, wenn das Ding mal wirklich aus China kommt, vielleicht ist es auch schon im Oktober 2019 gebraut worden und hat von unserer Party aus seinen grausamen Siegeszug über die Welt gestartet.

Im vorigen Oktober dann also waren wir zurück im Spiel. Alle schrien sich durch die Musik hindurch an, es ging um eine Preisverleihung, ein Großschriftsteller, der leer ausgegangen war, hatte während jener Preisverleihung auch geschrien, solche Dinge wie »Scheiße«, »Schande« und »Verdammte Wichser«, und das inmitten sich offiziell sehr feinfühlig fühlender Leute, es war die Essenz von tragikomisch, denn natürlich war es zum Schreien komisch, auch auf jener Party, aber es war auch zum Schreien tragisch, denn niemand beschrie die zartharte Frau, die dem Großschriftsteller den Preis weggeschnappt hatte, alle beschrien das verletzte Ego eines Mannes. Ich schrie meine Begleitung an, weil ich seine Getränkebestellung aufnehmen wollte, und schrie einer Freundin hinterher, die auf dem Weg zur Bar war, dass wir, genau wie sie, Weißwein auf Eis nehmen. Als ich mich durch die schreiende Menge zu ihr und der Bar durchgekämpft hatte, um ihr beim Transport zu helfen, wurde sie gerade sehr lieb und ein bisschen verzweifelt vom Barmann angeschrien, der ihr zu erklären versuchte, dass er keine Weingläser mehr frei hat. Meine Freundin ist Führungskraft und rief dem Barmann zu, dass wir den Weißwein auf Eis dann einfach aus Biertulpen trinken würden. Er nickte und lächelte und schenkte ein. Sie lächelte und zuckte mit den Schultern, als sie mir die Gläser reichte – kurzer Stiel, langer, mittelschmaler Bauch, Goldrand, schimmernde Flüssigkeit, klirrende Eiswürfel.

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Man müsste Weißwein auf Eis immer in dieser Form ausschenken, dachte ich, schwieg aber, weil ich nicht schon wieder schreien wollte, und wir stürzten uns in die fröhliche Gemengelage. Ich mochte das Klirren der Eiswürfel in den massigen Tulpen, es erinnerte mich an die Mezzosopranistinnen, die mein Vater früher so gern gehört hatte, die Frauen in den tiefgründigen Nebenrollen.

Wir schafften es in dieser Nacht nicht bis auf die Tanz­fläche, wir wurden bei jedem Schritt angesprochen: »Das sieht ja toll aus! Was trinkt ihr da?« Mein Begleiter gab unermüdlich und freundlich schreiend Auskunft, es sei gar nichts Besonderes, nur das richtige Getränk im falschen Glas, und ich dachte über mein Leben nach. Im falschen Programm geparkt, in der falschen Haarfarbe, in der falschen Zeit. In der falschen Rolle, in der falschen Reihe, im falschen Licht. Im falschen Kleid, in den falschen Hosen, im falschen BH.

Ich drehte das unkonventionelle Ding in meiner Hand, lauschte dem Klirren, nahm einen Schluck, perfekt. Was, wenn das gar nicht schlecht ist, sondern Kunst?