Die Flasche als Waffe

Wieso Mädchen und Frauen abends immer noch nicht sorglos nach Hause laufen und was für Maßnahmen beim Heimweig für etwas mehr Sicherheit und Schutz sorgen können.

Foto Erli Grünzweil

Es ist jedes Mal aufs Neue ein ganz besonderes Schauspiel, und es läuft immer gleich: Eine Frau, egal welchen Alters, erwähnt das Wort »Heimwegtelefon«. Männer, egal welchen Alters, sagen »Was?« und »Wie bitte?«, denn sie haben noch nie etwas davon gehört. Sie können sich nicht erklären, was das denn sein soll, ein Heimwegtelefon, und dieses spezielle Wissen fehlt ihnen aus einem furchtbar einfachen Grund – sie brauchen es nicht.

Frauen können sich jene Wissenslücke nicht leisten, schon als kleine Mädchen lernen sie, dass zu allem, was sie unternehmen wollen, immer auch der Weg zurück nach Hause gehört. Und der ist, gerade wenn Mädchen und Frauen auch mal etwas allein unternehmen wollen, tendenziell gefährlich, denn ihnen könnte ein Mann begegnen, oder gleich eine Gruppe von Männern.

Ich übertreibe?

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Nein, es gibt sie überall, diese eindeutigen Umfragen, hier eine aus dem Jahr 2020: Was würden Frauen tun, wenn 24 Stunden lang keine Männer da wären? Die überwältigende Mehrheit antwortete: Nachts spazieren gehen, nachts durch die Straßen laufen, nachts durch den Park rennen, einfach so, allein, ohne Angst.

Bemerkenswert ist, wie wenig Frauen die jahrtausendealte Angst im Alltag bedrückt, wie selbstverständlich die Vorsicht ist, wie sie einfach ein Teil unseres Lebens zu sein scheint, den wir gar nicht großartig hinterfragen. Für mich absolut selbstverständlich nach zwei guten Gläsern Wein oder einem schicken Highball ist es zum Beispiel, auf dem Heimweg den Schlüssel fest in der rechten Hand (Schlaghand) zu haben, und zwar so, dass zwei oder drei Schlüssel zwischen den Fingern hindurch nach vorne ragen. Sieht komisch aus, ist aber eine effektive Waffe im gegnerischen Gesicht. Ich finde es auch normal, grundsätzlich feste, schnelle Schuhe zu tragen, wenn ich ausgehe, wie Stiefeletten etwa, ich will rennen und zutreten können.

Mein Blick auf dem Nachhauseweg geht gleichzeitig nach vorn und zur Seite, auch am Hinterkopf habe ich ein paar feine Antennen. Und das Heimwegtelefon, eine gemeinnützige Einrichtung mit mehr als 100 ehrenamtlichen Mitarbeitern, liegt unter »Favoriten« in meinem Telefon. Da kann ich im Zweifel anrufen, unter der Woche bis Mitternacht, am Wochenende bis 3 Uhr, es geht immer jemand ran, ich kann sagen, wo ich gerade bin und was mich beunruhigt, und der Mensch am anderen Ende der Leitung begleitet mich nach Hause. Das können natürlich auch eine Freundin oder ein Freund sein, geht genauso gut, ist aber halt nicht immer möglich. Die Nummer des Heimwegtelefons ist öffentlich, und jede Frau sollte sie kennen, deshalb hier noch mal zum Mitschreiben: 030/12 07 41 82. Und ich wohne, nebenbei bemerkt, auch deshalb so gern in einem internationalen Vergnügungsviertel, weil auf St. Pauli die ganze Nacht das Licht an ist, es gibt nur wenige wirklich dunkle Ecken. In dem ruhigen Wohnviertel, in dem ich vor mehr als 20 Jahren wohnte, fuhr ich immer mit dem Taxi nach Hause, auch wenn ich nur ein paar Straßen von meiner Wohnung entfernt war.

Es gibt noch ein paar mehr Tricks, mit denen Frauen sich schützen, aber die sind geheim, ich kann da jetzt nicht ins Detail gehen. Nur so viel: Sie haben mit einer guten, handlichen Flasche Heimwegwein zu tun (lange Form, kein Bocksbeutel), mit Ninjas und mit schwarzer Magie, und na ja, man sollte es lieber nicht drauf anlegen.

Das beste Mittel gegen die Angst von Frauen ist natürlich, die Söhne zu erziehen. Meiner weiß, dass Frauen Grund haben, sich im Dunkeln auf der Straße zu fürchten. Und weil die Frau, die vor ihm geht, keine Angst haben soll, tut er etwas dagegen, wechselt die Straßenseite, bleibt zurück, telefoniert mit einer Freundin. Ein Akt der Höflichkeit, man könnte es auch »Zivilisation« nennen.